Vom „Ich-Fasten“ Mit Blick aufs Leben!

Die Fastenzeit lädt dazu ein, Gewohnheiten zu überdenken und neue Perspektiven einzunehmen. Dieses Jahr könnte es nicht nur um den Verzicht auf Genussmittel gehen, sondern um etwas viel Fundamentaleres: das Ich-Fasten. Weniger Selbstliebe, weniger Fixierung auf das eigene Wohlbefinden – stattdessen eine stärkere Ausrichtung auf die Fragen, die das Leben an uns stellt.

 

Die Logotherapie nach Viktor Frankl zeigt auf, dass Lebenssinn nicht darin liegt, ständig nach dem eigenen Glück zu suchen, sondern darin, einer Aufgabe gerecht zu werden. Die zentrale Frage ist nicht: Was erwarte ich vom Leben? Sondern: Was erwartet das Leben von mir? Diese Wendung – eine kopernikanische Wende des Denkens – verändert den Fokus. Es geht nicht mehr darum, wie ich mich fühle oder ob ich mich selbst genug liebe. Es geht darum, welche Aufgaben das Leben mir heute stellt. Welche Fragen es zu beantworten gibt.

 

Die Falle der Selbstfixierung

Moderne Konzepte wie Selbstliebe und Achtsamkeit haben zweifellos ihre Berechtigung. Doch wenn sie zum Selbstzweck werden, drehen wir uns nur noch um uns selbst. Wir analysieren unablässig unsere Emotionen, unser Wohlbefinden, unser Glück – und übersehen dabei die wesentliche Frage: Wozu bin ich hier? „Nur das kranke Auge sieht sich selbst“, sagte V. Frankl. Wer ständig in sich hineinhört, verliert den Blick für das Wesentliche. Lebensfreude entsteht nicht durch permanente Selbstbeobachtung, sondern durch das Hinaustreten aus dem eigenen Ich – durch die Hingabe an eine Aufgabe, auf einen Menschen, das größer ist als wir selbst.

 

Fastenzeit als Chance zur Neuausrichtung

Wie wäre es ICH zu fasten? in dieser Fastenzeit bewusst weniger über sich selbst nachzudenken. Weniger zu fragen: Wie fühle ich mich? Mehr zu fragen: Welche Aufgabe wartet auf mich? Das Leben wartet nicht darauf, dass wir bereit sind. Es stellt uns Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen – unabhängig von unserem Wohlbefinden. Und paradoxerweise bringt gerade das tiefere Lebensfreude.

 

Von der Bedeutung eines „gesunden“ Körpers: Wofür möchte ich „gesund“ sein?

Ein weiteres Beispiel für diese Denkweise betrifft die gesunde Ernährung und Selbstfürsorge. Sich gut zu ernähren und auf die eigene Gesundheit zu achten, ist wichtig – aber nicht nur, um sich selbst wohlzufühlen oder das eigene Spiegelbild zu verbessern. Die entscheidende Frage ist: Wofür brauche ich meinen gesunden Körper? Es geht nicht darum, gesund zu sein, um bequem und zufrieden in den eigenen vier Wänden zu sitzen. Gesundheit hat einen Zweck über das eigene Ich hinaus. Ein gesunder Körper ist das Instrument, mit dem wir den Aufgaben des Lebens begegnen. Ich halte mich fit, nicht um meiner Selbst willen, sondern weil mein Leben mich braucht.

 

Wer Gesundheit nur als Mittel zur Selbstoptimierung betrachtet, landet schnell in einer Endlosschleife aus Diäten, Nahrungsergänzungsmitteln und Anti-Aging-Produkten. Doch wenn ich mir stattdessen die Frage stelle: Wie kann ich meine Gesundheit für eine Aufgabe einsetzen, die nicht wieder ich selbst bin? – dann verändert sich meine Perspektive. Vielleicht spüre ich dann, dass es nicht darum geht, mein Alter mit Antifalten Cremes zu kaschieren, sondern dass ich mit dem Leben, so wie es ist, in Verbindung bleiben kann. Nicht jugendliches Aussehen ist das Ziel, sondern Offenheit für das Leben.

 

Das Leben ernst nehmen – sich selbst nicht so wichtig

Ein zentraler Aspekt des Ich-Fastens ist auch die Fähigkeit, sich selbst nicht zu wichtig zu nehmen. Das bedeutet nicht, sich geringzuschätzen, sondern die eigenen Sorgen und Befindlichkeiten in einen größeren Kontext zu stellen. Oft drehen wir uns gedanklich um uns selbst, grübeln über unser Wohlbefinden, über unser Aussehen, über unsere Erfüllung – und vergessen dabei, dass das Leben selbst viel größer ist als unsere eigenen kleinen Befindlichkeiten. Das Leben ist ernst – aber wir müssen uns selbst nicht immer so wichtig nehmen.

 

Wer zu sehr mit sich selbst beschäftigt ist, verliert oft den Blick für Humor, für Leichtigkeit und für die unzähligen Möglichkeiten, die das Leben bietet. Dem Leben mit Ernsthaftigkeit begegnen heißt nicht, sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen, sondern Verantwortung zu übernehmen. Vielleicht merken wir dann auch, dass wir weniger Zeit damit verbringen müssen, nach Perfektion zu streben – sei es in der Selbstliebe, im eigenen Körper oder in der äußeren Erscheinung. Vielleicht brauchen wir weniger Anti-Aging-Cremes und Selbstoptimierungs-programme, wenn wir beginnen, uns auf die Aufgaben des Lebens statt auf uns selbst zu konzentrieren. Der Blick geht weg von uns – hin zum Leben selbst.

 

Die Befreiung vom Ich

Die Idee der Fastenzeit war immer eine Befreiung – vom Überfluss, von Ablenkungen, von Dingen, die uns gefangen halten. Vielleicht ist es an der Zeit, uns von der Fixierung auf das ICH zu befreien. Die Frage ist nicht, wie sehr wir uns lieben, sondern wie sehr wir das Leben lieben und die Menschen und Dinge darin. Und genau das könnte die Herausforderung dieser Fastenzeit sein: Weniger Ich, mehr Wir.

 

Danke fürs Lesen meiner Gedanken, die kein „Rat“ sein sollen sondern einfach Gedanken. Keine richtigen oder falschen Gedanken. Einfach MEINE Gedanken heute am Morgen! Eure Gudrun (Bertignoll)